Friday 28 February 2014

Sport Bild, 25 February 2014

Herr Löw, vor uns steht ein Duplikat des WM-Pokals. Wie gefällt er Ihnen?

Jogi Löw: (schmunzelt) Der wäre schon sehr schön. Berühren würde ich ihn aber erst, wenn ich ihn gewonnen habe.

Wäre es für Sie ein Makel, ohne Titel in die Bundestrainer-Geschichte einzugehen?

Ist es ein Makel bei einem Spieler wie Uwe Seeler, dass er keinen WM-Title gewonnen hat? Er ist eine unglaubliche Persönlichkeit und war ein großer Spieler. Von solchen Einstufungen muss man sich freimachen konnen. Klar aber ist, dass wir alles geben werden, um den Titel zu holen.

Träumen Sie manchmal schon von der WM oder sogar dem Titel?

Nein, das nicht. Ich träume ohnehin seiten. Nach Spielen kommt es jedoch vor, dass einem nachts dann die Dinge durch den Kopf gehen. Die eine oder andere Spiel-Szene zum Beispiel. Dass muss man dann schon verarbeiten.

Bereiten Ihnen die vielen Verletzungen von Leistungsträgern Albträume? Sie sprachen bereits davon, dass sieIhnen Sorgen machen würden.

Sie stimmen mich zumindest nachdenklich. Gerade in der deutschen Historie waren bei den WM-Siegen 1954, 1974 und 1990 die Leistungstrager in einer sehr, sehr guten Form. Wir haben im Moment dagegen viele wichtige Spieler, die verletzt sind oder lange nicht gespielt haben.

Dabei haben Sie das Thema Fitness zu einem der Haupt-Themen für die Wm in Brasilien erklärt.

Das Thema Fitness ist sogar elementar. Brasilien wird uns nicht nur psychisch, sondern auch physisch alles abverlangen. Es wird für uns aufgrund der Gegebenheiten die WM der Strapazen.

Können Sie sich denn vor diesem Hintergrund leisten, einen nicht hundertprozentig fitten Spieler mitzunehmen?

Es gab auch in der Vergangenheit Spieler, die angeschlagen zu einem Turnier gefahren sind, aber die eine Mannschaft nun mal eben braucht. Beispielsweise aufgrund der Persönlichkeit oder der riesigen Erfahrung des Spielers. So einem kann sich ein Kader grundsätzlich auch leisten. Klar ist aber. Mit Beginn der Vorbereitung brauche ich Spieler, die noch belastbar sind.

Ist Sami Khedira so ein Spieler, den die Mannschaft braucht? Nach seinem Kreuzbandriss wird es für ihn knapp, vor der WM-Vorbereitung noch Pflichtspiele zu bestreiten.

Sami ist schon ein sehr, sehr wichtiger Spieler für die Mannschaft. Aufgrund seiner dynamischen Spielweise, aber auch als Führungsfigur. Ich bin mit ihm ständig in Kontakt. Sein Ehrgeiz, den er in unseren Gesprächen ausstrahlt, macht mir für seine WM-Teilnahme Hoffnung. Zudem ist er für diesen Zeitpunkt in einem unglaublich Zustand. Sein Knie ist beschwerdefrei und gut belastbar.

Mit Bastian Schweinsteiger kämpft sich gerade ein weiterer Führungspieler, ebenfalls auf der wichtigen Position im defensiven Mittelfeld, nach Sprunggelenks- und Knie-Problemen zurück. Wie groß sind ihre Sorgen beim Vize-Kapitän?

Bastian ist ja wieder im Mannschafts-training und kommt nun nach und nach bei Bayern zu seinen Einsätzen. Bei ihm bin ich sehr zuversichtlich, dass die Zeit reichen wird und er auch wieder zu alter Stärke finden wird. Zudem weiß ich von ihm, dass er die WM noch mal als ein persönlich ganz großes Ziel ansieht. Dem Triple im vergangenen Jahr möchte er in Brasilien noch einen Title draufsetzen. Bastian ist ein Weltklassespieler. Natürlich willman ihn dabei haben.

Schweinsteiger gab bei der EM 2012, dass er mit Schmerzen spiele. War sein Einsatz damals ein Fehler? Würden Sie so ein Risiko noch einmal eingehen?

Das ist zum jetzigen Zeitpunkt eine hypothetische Frage. Bastian hat eine unglaublich wichtige Rolle für unser Spiel und die Mannschaft. Auf einen solchen Spieler verzichtet man nicht so einfach. Man muss solche Entscheidungen immer individuell und nach der jeweiligen Situation treffen.

Ist es es nicht wie verhext, dass mit Ilkay Gündogan ein weiteres Sorgenkind auf der Position um sein Comeback kämpft?

Natürlich mache ich mir da auch so meine Gedanken und hoffe sehr auf sein Comeback. Er hat in einigen Spielen nach der EM unser Spiel entscheidend geprägt, fehlt nun aber Borussia Dortmund seit August. In der Nationalmannschaft sind gerade Khedira, Schweinsteiger und Gündogan drei Spieler für die Schaltzentrale, die für unser Spiel entscheidend ist. Wenn du im Mittelfeld stark bist, schaffst du dir die Vorteile gegenüber deinem Gegner.

Können Sie sich denn vor diesem Hintergrund noch dem Luxus leisten, Philipp Lahm als Rechtsverteidiger spielen zu lassen?

Ich werde einen SPieler wie Philipp Lahm sicherlich dort aufstellen, wo er für die Mannschaft am wertvollsten ist. Diese Entscheidung muss ich heute noch nicht treffen, aber ich werde das im Vorfeld der WM tun. So habe ich es mit Philipp vereinbart.

Im Falle eines Mittelfeldspielers Lahm könnte Kevin Großkreutz als Rechtsverteidiger der große Profiteur sein, nachdem er zuletzt in der Nationalelf keine große Rolle gespielt hatte.

Kevin Großkreutz hat sich bei Borussia Dortmund tatsächlich als Rechtverteidiger hervorragend präsentiert, auch in der Champions League auf höchstem internationalen Niveau. Aber man sollte nicht vergessen, dass er im Moment nach der Rückkehr von Lukasz Piszczek wieder eine andere Position spielt. Dass aber jemand für die WM reinrutscht, der zuvor nicht dabei war, kann durchaus sein.

Wen sehen Sie im Kampf um die Linksverteidiger-Position vom? Ist Emre Can plötzlich eine Option?

Emre Can sehe ich als hervorragenden Mittelfeldspieler. In der linken Viererkette haben wir allerdings zuletzt auf Marcel Schmelzer und Marcell Jansen gesetzt. Wenn da alles normal verläuft, sind diese beiden Spieler dafür die erste Wahl.

Beim Champions-League-Spiel Arsenal gegen Bayern konnten Sie sich vor Ort das Duell Toni Kroos gegen Mesut Özil im Mittelfeld ansehen. Ist Kroos ein Konkurrent für Özil, oder muss er wie bei der EM wieder ein Reservisten-Dasein fürchten?

Konkurrenzkampf wird und muss es in der Nationalmannschaft geben, das gilt für jede Position. Toni Kroos hat aber gerade nach den Ausfällen von Schweinsteiger, Khedira und Gündogan eine unglaublich wichtige Rolle eingenommen. Er ist ein Klasse-Fußballer mit überragender Technik und Spielintelligenz. Und in unserem Mittelfeld werden bei der WM Spieler auflaufen, die technisch hervorragend sind. Toni Kroos ist für mich ein ganz wichtiger Baustein für Brasilien.

Während Kroos gegen Arsenal glänzte, musste sich Özil danach teils heftige Kritik gefallen lassen. Der Tenor in deutschen wie englischen Medien war, Özil kann keine großen Spiele gewinnen.

Wer bei großen Vereinen wie zuvor Real Madrid oder jetzt Arsenal spielt, muss mit der Kritik leben können, wenn es mal nicht so läuft. Das kann Mesut auch sehr gut. Und vergessen wir nicht: Im vergangenen Jahr wurde er von den Fans zum Nationalspieler des Jahres gewählt. Er hat für uns in der WM-Qualifikation wichtige Spiele mitentschieden. Ich weiß, was Mesut kann. Er ist ein Schlüsselspieler unserer Mannschaft.

Schlüsselspieler gelten in der Regel als gesetzt. Gilt das auch für Özil?

Der Konkurrenzkampf in der Mannschaft ist groß, wenn alle fit sind. Diesem musss sich jeder stellen und sich beweisen. Aber ich zähle auf Mesut, weil ich weiß: In einem Turnier will er so erfolgreich wie möglich sein und hat das in den vergangenen auch immer gezeigt.

Zurück zu den Sorgenkindern, die es auch im Sturm gibt. Nach vielen verletzungsbedingten Länderspiel-Absagen 2013 befindet sich Miroslav Klose 2014 im Formtief, Mario Gomez gab gerade erst sein Comeback.

In der Offensive mache ich mir insgesamt weniger Sorgen. Ich hoffe natürlich, dass Miro Klose und Mario Gomez in einer guten Form zur WM momment. Unabhängig davon haben wir in der WM-Qualifikation innerhalb Europas die meisten Tore erzielt. Auch, weil wir Spieler haben wie Mesut Özil, Toni Kroos, Thomas Müller oder Mario Götze. Gerade unsere Offensivkraft aus dem Mittelfeld macht unsere Mannschaft aus. Da geht es nich nur um die Position im Sturm, sondern unsere gesamte Spielweise.

Bayern-Trainer Pep Guardiola ließ sich im Sommer Videos vom Kasachstan-Spiel schicken, um dort Götze als falsche Neun studieren zu können. Wie ernst nehmen Sie diese Variante für die WM?

Mario Götze lebt von seiner Variabilität und seiner Fähigkeit, auf verschiedenen Positionen zu spielen. So macht das Pep Guardiola ja auch bei Bayern. Dass er aber bei Bayern wie bei mir und ganz vorn spielt, hat seine Gründe. Solche Spielertypen haben mit dem Ball auf engstem Raum immer Lösungsmöglichkeiten. Sie sind am Boden stets anspielbar. Das ist im heutigen Fußball sehr wichtig.

Sie haben Lukas Podolski für den WM-Kader für unverzichtbar erklärt. Muss er dafür nicht mehr spielen?

Lukas wird seine Einsätze bekommen. Unabhängig davon wissen wir, was wir an ihm haben. Und das wird er auch bei Arsenal unter Beweis stellen, was er auch schon oft genug getan hat. Denken Sie mal an sein Comeback bei Arsenal am 'Boxing Day', als er sich direkt mit einem Tor wieder eindrucksvoll zurückgemeldet hat. Lukas ist ein Spieler, der von null auf hundert seine Leistung abrufen kann, wenn er fit ist.

Auch Andre Schürrle bekommt beim FC Chelsea wenig Praxis. Kann das bei unveränderter Situation sein WM-Ticket gefährden.

Ich habe, als ich zuletzt in London war, auch mit Andre gesprochen. Er ist total fokussiert auf seine hohen Ziele. In der Nationalmannschaft hat er zuletzt eine sehr starken Eindruck hinterlassen, mental wie physisch.

Wie sahen Sie zuletzt die Leistungen vom Gladbacher Max Kruse?

Max Kruse lebt von seiner Dynamik, er hat bei der USA-Reise die Chance bei uns genutzt. Weil er auch im Training immer voll zur Sache gegangen ist. Seine Entwicklung ist noch nicht zu Ende, ich sehe seine Entwicklung insgesamt positiv. Klar ist, dass er seine Leistungen konstant abrufen muss. Das gilt aber für jeden, der auf höchstem internationalen Niveau spiele will.

Zum Schluss noch eine Personalie, die zuletzt keine große Rolle spielte; Holger Badstuber. Der Verteidiger hat seine WM-Traum noch nicht aufgegeben. Ist dieser nach einer über einjährigen Verletzungspause noch realistisch?

Ich freue mich wahnsinning für Holger, dass er beim FC Bayern nun das Lauftraining wieder aufgenommen hat. Für ihn wird es aber nach der langen Pause und zwei Kreuzbandrissen schon eng für die WM. Das Wichtigste für ihn ist, gesund zu werden, dann wird er mit Sicherheit auch wieder zurückkommen. Beim FC Bayern und auch bei uns. Es muss immer gelten: Die Gesundheit steht über einer WM.

Issue 09/2014 (Kevin-Prince Boateng Front Cover)

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